Die meisten unter uns kennen die Ahle nur in ihrem ausgereiften Zustand, eben als unsere „alte“ Wurst. Aber davor hat unsere Ahle einige bemerkenswerte Entwicklungsphasen durchlaufen, von denen die erste unserer beliebten nordhessischen groben Bratwurst nicht unähnlich ist.
Das klingt etwas weit hergeholt, aber wer schon einmal in Südwestdeutschland unterwegs gewesen ist, erkennt möglicherweise den Zusammenhang: Als Bratwürste werden dort Würste bezeichnet, die bei uns „Polnische“ oder „Mettwürstchen“ genannt werden würden. Würste also, die nicht zum Braten bestimmt, sondern geräuchert und dann zur Vesper verzehrt werden. Warum werden sie aber Bratwürste genannt?
Genau wie bei der historischen nordhessischen Bratwurst beziehen sich die badischen und schwäbischen Bratwürste auf das althochdeutsche Wort brāto, das „schieres Fleisch“ bedeutet. Im Fleischerhandwerk hat der Begriff bis heute überlebt. Hier bezeichnet man die Rohmasse, aus der, wenn man sie in Hüllen füllt, Würste werden, als Brät. Allgemein bekannt ist der Begriff Wildbret aus der Jägersprache. Er bedeutet nichts anderes als Wildfleisch.
Aber zurück zur Ahlen, beziehungsweise zum Ausgangsprodukt, der historischen Brat-Wurst. Die gab es in zwei Varianten. Einerseits in einer mild gewürzten und weniger stark gesalzenen Form, die, wie unsere heutigen Bauernbratwürste, tatsächlich zum Braten in der Pfanne oder auf dem Rost gedacht war.
Die andere Form der Brat-Wurst war deutlich stärker gesalzen und gewürzt, denn sie sollte länger haltbar sein. Zudem wurde dem Brät auch Salpeter beigefügt, um es zusätzlich haltbar zu machen. Der Salpeter verhinderte unerwünschten Verderb und leitete den Umrötungsprozess ein, welcher die Haltbarkeit der Wurst deutlich verbesserte. Dieser auch schlicht Umrötung genannte Vorgang dauert, je nach Dicke der Wurst, zwischen drei bis vier Wochen und mehreren Monaten.
In dieser Zeit erhält die Wurst ihre typische, dauerhafte satt dunkelrote Farbe. Hierher stammt übrigens auch der Begriff „Rote Wurst“, der in vielen Regionen Deutschlands für luftgereifte Rohwurst verbreitet ist. Frisch gefüllte Wurst hat im Vergleich dazu eine hellrosa Farbe, eben wie frisches Schweinemett. Wie gesagt, das schöne Rot der Ahlen kommt erst durch die Umrötung zustande, ebenso übrigens wie die Farbe der Kochwurst oder des Kasselers.
Das nächste Stadium ist das der „Trockenen Wurst“, in dem unsere zukünftige Ahle im Wurstehimmel hängt, weiter abtrocknet, reift und die für sie typische Aromabildung einsetzt. Erst nachdem unsere ehemalige Bratwurst diese unterschiedlichen Phasen der Reifung durchlaufen hat, darf sie sich mit Fug und Recht als echte Ahle bezeichnen.
Das Schöne an unserer Ahlen ist, dass ihre Karriere erst dann so richtig beginnt, denn in mit jeder weiteren Woche im Wurstehimmel verändert sich ihr Geschmack und ihre Konsistenz. Jeder Liebhaber der Ahlen kennt die Unterschiede zwischen einer „jungen“, noch etwas weichen und einer festen Stracken. Das Geschmacksspektrum unserer Ahlen entwickelt sich im Laufe ihres Daseins von mildwürzig über intensiv und kräftig bis zum beinahe scharf beißend konzentrierten Reifegeschmack bei einer „Knüppelharten“.
Die unglaubliche Vielfalt dieses im Grunde ganz einfachen Naturproduktes bietet etwas für jeden Genießergaumen und macht jede Ahle einzigartig.
von Katharina Koch, erschienen am 11.03.2017 auf hna7.de.